„Wir überwinden Barrieren, auch in den Köpfen“

Geschäftsführerin des Thüringer Hospiz- und Palliativverbandes fordert gute Ausgewogenheit zwischen ambulanten und stationären Angeboten

Erfurt, 12. Oktober 2018. Am 13. Oktober findet der Welthospiztag statt, am 14. Oktober der Deutsche Hospiztag. Geeignete Anlässe, um einen Blick auf die vergangenen drei Jahre zu werfen: Im Dezember 2015 ist das sogenannte Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) in Deutschland in Kraft getreten. Es soll die Versorgung von schwer kranken und sterben­den Menschen verbessern und den Ausbau der Hospiz- und Palliativ­angebote fördern. Was sich mit dem HPG für die Menschen in Thüringen konkret verändert hat und was wichtige Aufgaben für die Zukunft sind, das erläutert die Geschäftsführerin des Thüringer Hospiz- und Palliativ­verbands (THPV e. V.), Ilka Jope.

 

Frau Jope, welche Entwicklungen sind durch das Hospiz- und Palliativgesetz angestoßen worden, die Sie besonders freuen?

Das sind einige! Zuerst einmal ist die Arbeit der ambulanten Hospiz­dienste mit dem HPG finanziell auf eine sichere Basis gestellt worden. Beispielsweise werden jetzt auch Sachkosten gefördert – für die Dienste bedeutet das, dass sie sich mehr auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können und weniger Zeit in die Spendenakquise investieren müssen. Diese Konzentration auf die Kernaufgaben hat dazu geführt, dass sich das Netzwerk an Angeboten in den Regionen Thüringens verdichtet hat.

Es gibt also mehr ambulante Hospizdienste?

Ja, derzeit sind es 31; 2015 waren es 27. Die bestehenden Hospizdienste haben sich außerdem weiterentwickelt, sind größer geworden. So ist nach dem HPG die Zahl der hauptamtlichen Koordinatoren von 43 auf 56 gestiegen, die Zahl der ehrenamtlich Tätigen von 980 auf 1.240. Und auch die Zahl der Begleitungen durch Hospizdienste in Thüringen hat zugenommen: 2015 waren es 1.813, zwei Jahre später 2.475.

Die bessere Finanzierung hat auch dazu geführt, dass die Zahl der statio­nären Hospize für Erwachsene wächst: Wir haben aktuell sechs Einrich­tungen, im nächsten Jahr werden drei weitere eröffnet – in Jena, Katz­hütte und Saalfeld.

Hat sich mit dem HPG auch etwas in den Krankenhäusern ver­ändert?

Die Anzahl der Palliativbetten thüringenweit steigt ebenfalls. Zurzeit haben wir auf 15 Palliativstationen 147 Betten. Weitere 87 sind im 7. Thüringer Krankenhausplan vereinbart. Aber fast noch wichtiger als diese Zahl ist für mich, dass sich im Arbeitsalltag in den Kliniken etwas ändert. Beispielsweise, dass Palliativmediziner mittlerweile auf die Stationen gehen und Patienten dort behandeln. Dass ehrenamtlich Tätige in Krankenhäusern willkommene Unterstützung sind bei der Begleitung schwer kranker Menschen. Das war noch vor wenigen Jahren überhaupt nicht selbstverständlich. Wir überwinden Barrieren, auch Barrieren in den Köpfen.

Wie sieht es in stationären Pflegeeinrichtungen aus?

Hier sind die Veränderungen eher zaghaft. Zwar besuchen Mitarbeiter von Pflegediensten zunehmend Weiterbildungen zur Palliative Care, wie wir auch an der Nachfrage in unserer Akademie sehen. Und die Einrich­tungen vernetzen sich stärker mit den ambulanten Hospizdiensten. Aber in den Konzeptionen der wohl meisten Pflegeeinrichtungen spiegelt sich eine angemessene Versorgung von Palliativpatienten noch nicht.

Was sind die wichtigsten Aufgaben des THPV angesichts der durch das HPG bewirkten Verbesserungen?

Es gibt die Tendenz in Thüringen, schwer kranke und sterbende Menschen eher institutionell zu betreuen. Das sehen wir als Verband durchaus kritisch. Wir brauchen eine gute Ausgewogenheit zwischen stationären und ambulanten Angeboten – darauf werden wir immer wieder hinweisen.

Fühlen sich Angehörige durch eine ambulante Betreuung nicht oft überfordert?

Mir scheint es so, dass wir das Wissen darum verloren haben, wie wir Sterbende begleiten. Jeder kann das, und jeder kann es lernen. Dabei unterstützen beispielsweise sogenannte Letzte-Hilfe-Kurse, die in vielen Orten mittlerweile von geschulten Menschen ehrenamtlich angeboten werden. Unsere Aufgabe als Verband ist es, alle Bürger intensiv über das wachsende Netzwerk zu Sterben, Tod und Trauer in Thüringen zu infor­mieren. Und Menschen miteinander zu verknüpfen: diejenigen, die nie­manden haben und Hilfe benötigen und diejenigen, die sich engagieren wollen. Niemand soll alleine sein in seinem Sterben, wenn er es nicht wünscht.

Stichwort Engagement – ihrer Geschichte nach ist die Hospizbewe­gung ja eine Bürgerbewegung …

… ja, und nach wie vor ist das Interesse an diesem Ehrenamt und der wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe groß. Für mich steckt darin der größte Schatz der Hospizarbeit: dass es Menschen einfach um die Hal­tung dem Lebensende gegenüber geht! Ich hoffe sehr, dass eine selbst­bewusste und widerständige Zivilgesell­schaft den Tendenzen der Ökono­misierung in der Hospiz- und Palliativ­versorgung energisch entgegentritt.

Sind da nicht vor allem die Träger gefragt?

Ja, natürlich. Das HPG gibt den Trägern ja nicht vor, wie sie ihre Arbeit gestalten. Sondern der Träger kann frei entscheiden, seine Hospiz- und Palliativarbeit unberührt zu lassen von ökonomischen Zwängen. Diesen besonderen Geist – ich nenne ihn einfach mal Selbstlosigkeit – ver­körpern die Ehrenamtlichen. Deshalb sind sie so unersetzlich. Und des­halb versteht der THPV sich auch als ihr Fürsprecher und Mutmacher.

 

Der THPV

ist der Dachverband für die Hospiz- und Palliativarbeit in Thüringen. Er hat derzeit 48 Mit­glieder, darunter alle ambulanten Hospizdienste, alle stationären Hospize für Erwachsene, mehrere Pallia­tivstationen und Spezialisierte Ambulante Palliative Versorgungsteams. Zu den Auf­gaben des Verbandes zählt es unter anderem, Hospizbewegung und Palliativversorgung in ganz Thüringen bekannt zu machen, das Netzwerk der zahlreichen Hilfsangebote auszubauen und die Interessen der Mitglieder auf Landes- und Bundesebene zu vertreten. Die Akademie des THPV qualifiziert die ehren- und hauptamtlichen Mitar­beiter, die in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig sind.

Ansprechpartnerin

Solveig Schwabe

Geschäftsführerin

0361 . 64 43 02 99

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